Notgemeinschaft Nordhorn-Range

Kommentar: Das Votum des Petitionsausschusses (Update 3)

Beitrag vom 17.01.2012

Am 14. Dezember 2011 tagte der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages. Dabei wurde das Thema "Nordhorn-Range" als "Material" an den Bundestag überwiesen. Was bedeutet das? Haben "unsere" Abgeordneten reagiert und wenn ja, wie? Dieser Artikel fasst Hintergründe und Reaktionen kommentiert zusammen.

Dieser Text wurde erstmals am 17. Januar 2012 veröffentlicht. Am 21. Januar 2012 erfolgte eine Überarbeitung anhand der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses. Einige Angaben wurden so mit Zahlen belegt und einige interessante Fakten ergänzt. Am 13.03.2012 wurden die Flugzahlen für 2011 ergänzt. Später erfolgten Verlinkungen von Stellungnahmen.

Ein erläuternder Kommentar (von Lars Naber)

Was bedeutet die "Überweisung als Material"?

Der Petitionsausschuss kann seine Entscheidung auf verschiedene Weisen an den Bundestag übermitteln. In den "Grundsätzen des Petitionsausschusses über die Behandlung von Bitten und Beschwerden (Verfahrensgrundsätze)" mit dem Stand vom 9. November 2011 ist nachzulesen:

  1. Überweisung zur Berücksichtigung
    Dies ist die wichtigste Empfehlung. Sie bedeutet, dass "das Anliegen des Petenten begründet und Abhilfe notwendig ist".
     
  2. Überweisung zur Erwägung
    "Die Eingabe gibt Anlass zu einem Ersuchen an die Bundesregierung, das Anliegen noch einmal zu überprüfen und nach Möglichkeiten der Abhilfe zu suchen."
     
  3. Überweisung als Material
    "… um z. B. zu erreichen, dass die Bundesregierung sie in die Vorbereitung von Gesetzentwürfen, Verordnungen oder anderen Initiativen oder Untersuchungen einbezieht."

Darüber hinaus gibt es noch die "schlichte Überweisung", die "Kenntnisgabe an die Fraktionen", die "Zuleitung an das Europäische Parlament" oder den "Abschluss des Verfahrens".

Die CDU und die FDP stimmten für eine "Überweisung als Material". Die SPD und die Linke stimmten für eine "Überweisung zur Erwägung". Nur die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sprach sich für das höchste Votum, eine "Überweisung zur Berücksichtigung" aus.

Begründungen des Petitionsausschusses

In der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (PDF) ist zu lesen:

Der Ausschuss hat zur Kenntnis genommen, dass seit der Übernahme des Luft-Boden-Schießplatzes Nordhorn durch die Bundeswehr im Jahr 2001 eine deutliche Reduzierung der Flugeinsätze vorgenommen wurde.

Dies ist richtig. Es gab eine Reduktion. Wie aber auch beim Besuch des Petitionsausschusses am 17.11.2010 im Kreishaus des Landkreises Grafschaft Bentheim deutlich gemacht wurde, kann der Betrieb jederzeit auch wieder (bis zu einem gewissen Limit) hochgefahren werden. Dieses lässt natürlich Spielraum für sehr viel mehr Flugbetrieb, verbunden mit allen Gefahren und Beeinträchtigungen.

Interessant sind die verwendeten Zahlen. So werden zunächst Zielanflüge genannt, später aber Luftfahrzeugeinsätze. So wurden für das Jahr 2010 bis Oktober 1.426 Zielanflüge angegeben. Auch wurden für das Jahr 250 Einsätze genannt. Das bedeutet gerundet mindestens 6 Zielanflüge pro Einsatz (vielleicht sogar mehr, falls die Angabe "250" sich auf das ganze Jahr bezieht, dies ist leider nicht angegeben).

Festgelegt sind maximal 1.000 Luftfahrzeugeinsätze. Bei angenommenen 6 Zielanflügen pro Einsatz ergeben sich 6.000 Zielanflüge. Die internen Planungen des BMVg sehen maximal 750 Einsätze vor, daraus ergeben sich immer noch 4.500 Zielanflüge. Dabei ist anzumerken, dass das Bundesministerium für Verteidigung diese hohe Zahl von Einsätzen und Anflügen planen kann, ohne dass es vorgegebene Limits überschreitet.

Ergänzung vom 13. März 2012: Die amtlichen Zahlen für 2011 ergeben 241 Einsätze mit insgesamt 1953 Zielanflügen. Durchschnittlich sind das 8,1 Zielanflüge. Wenn man diese Zahl mit maximal 750 Einsätzen rechnet, ergeben sich 6075 Zielanflüge, die ohne Weiteres durchgeführt werden dürfen.

Was die Gefahr durch einen Flugzeugabsturz auf das KKW Emsland angeht:

[...] Der Ausschuss hebt hervor, dass das Kernkraftwerk Emsland damit zu den am besten gegen einen Flugzeugabsturz gesicherten Kernkraftwerken gehöre. Gleichwohl weist der Ausschuss darauf hin, dass ein völlig risikofreier Zustand generell nicht erreichbar ist. Der Ausschuss stellt zudem fest, dass die Sicherheitsüberprüfung der Reaktor-Sicherheitskommission in einem sehr engen Zeitrahmen erstellt wurde und bei einigen der vorliegenden Ergebnisse ein weiterer Untersuchungs- und Bewertungsbedarf ausgewiesen wird.

Es ist interessant, dass zum einen eine Sicherheitsbewertung genannt wird, zum anderen aber diese Bewertung in Frage gestellt wird, in dem man weiteren Untersuchungsbedarf feststellt. Dennoch meint der Ausschuss, anhand einer offensichtlich unvollständig ausgeführten Sicherheitsbewertung die Gefahren beurteilen zu können.

Dass ein völlig risikofreier Zustand generell nicht erreichbar ist, dürfte zum Allgemeinwissen zählen. Dieses Argument darf aber nicht dazu heran gezogen werden, um vermeidbare Gefahren von außen auf eine kerntechnische Anlage zu verharmlosen.

Durch eine Einstellung des Flugbetriebes auf Nordhorn-Range ließe sich das Risiko weiter vermindern. Seltsamerweise ist niemand bereit, diesen Schritt zu gehen oder ihn auch nur zu erwägen. Eine Anfrage an die einzelnen Bundestagsfraktionen durch die Notgemeinschaft Nordhorn-Range wurde fast völlig ignoriert. Nur eine lapidare Antwort von der SPD traf ein.

Zurück zur Beschlussempfehlung:

Der Petitionsausschuss stellt fest, dass der Luft-Boden-Schießplatz Nordhornrange [sic!] nicht als Flugplatz eingestuft wird, da dort keine Starts und Landungen stattfinden. Spezielle Regelungen für Schießplätze sind sowohl in der Störfall-Verordnung als auch in der Vollzugshilfe zur Störfallverordnung nicht bekannt.

Dieser Absatz ist erschreckend: Da fliegen Kampfjets und schießen im niedrigen Flug auf Ziele am Boden. Und weil es einfach laut Definition kein Flugplatz ist, gibt es keine Regelungen. Bei Starts und Landungen befinden sich die Flugzeuge in geringer Höhe, bei den Zielanflügen über Nordhorn-Range ebenso. Weil aber nicht gestartet oder gelandet wird, tut man einfach so, als gäbe es die Flüge und die damit verbundenen Risiken nicht.

Dabei stellt unabhängig von der Anzahl der Flüge auf Nordhorn-Range jeder einzelne Flug eine Erhöhung des Risikos dar.

Reaktionen

Insgesamt gab es leider nur wenige Reaktionen aus der Politik in unserer Gegend.

Friedrich Kethorn (CDU)

Eine der wenigen wirklich deutlichen Stellungnahmen stammt von Landrat Friedrich Kethorn.

Es zeige sich einmal mehr, so Kethorn, dass auf die seit über 60 Jahren andauernde Belastung der Grafschafter Bevölkerung keine Rücksicht genommen werde.

Die vom Petitionsausschuss vorgeschlagene „kontinuierliche Prüfung zur nachhaltigen Verbesserung der Gesamtbelastungssituation“ sei nichtsagend und ungenügend.

Dem ist kaum etwas hinzuzufügen.

Dr. Hermann Kues (CDU)

Der Bundestagsabgeordnete gibt auf seiner Homepage einen kurzen Überblick über die Entscheidung.

Das ist ein klares Votum, aber noch nicht ausreichend.

Dieses ist eine bemerkenswerte Aussage: Dr. Kues möchte offenbar das Votum auf der einen Seite nicht als die Augenwischerei darstellen, die sie ist. Auf der anderen Seite wird anerkannt, dass dieses Votum nicht reicht.

Auch solle die Lärmbelastung "weiter auf ein Minimum reduziert werden". In der Beschlussempfehlung heißt es jedoch wörtlich: "Hinsichtlich der Einsatzplanung der Luftfahrzeuge wird das BMVg zudem ersucht, die Lärmbelastung über Wohngebieten weiter auf ein verantwortbares Minimum zu reduzieren," Das Wort "verantwortbar" bedeutet leider einen großen Unterschied zur Äußerung von Herrn Dr. Kues.

Die Range muss geschlossen werden. Anstatt dies zu unterstützen und anzuerkennen reibt sich die SPD im Petitionsausschuss an formellen Scheinargumenten auf. Sie argumentiert typisch für eine Oppositionspartei.

Es folgen noch weitere Bemerkungen über die SPD. Interessant ist, dass die CDU als Partei des Herrn Dr. Kues selbst nur für die "Überweisung als Material" gestimmt hat, während die hier angegriffene SPD ein höheres Votum für die Schließung von Nordhorn-Range abgegeben hat und somit deutlicher Stellung bezog.

Nachtrag: Im Juni 2012 äußerte sich Herr Dr. Kues nochmals zur Petition.

Reinhold Hilbers (CDU)

Auch der Landtagsabgeordnete meldet sich auf seiner Homepage zu Wort.

Die Einstufung dieser Petition in die dritthöchste Stufe hat zur Folge, dass die Bundesregierung – insbesondere das Verteidigungsministerium – sich intensiv mit dieser Eingabe auseinanderzusetzen hat.

Schauen wir uns noch mal an, was eine "Überweisung als Material" bedeutet: "… um z. B. zu erreichen, dass die Bundesregierung sie in die Vorbereitung von Gesetzentwürfen, Verordnungen oder anderen Initiativen oder Untersuchungen einbezieht." Das klingt zwar ganz nett, aber von einer "intensiven" Beschäftigung ist das weit entfernt. Schon das "z.B." zu Beginn zeigt, mit welchen Spielräumen man es hier zu tun hat. Eine deutliche Handlungsanweisung sieht anders aus.

"Wir hätten auch gern ein noch höheres Votum gehabt, man muss aber die Realiltät sehen. Die Range wird nicht übernacht geschlossen. Wer das behaupt [sic!], streut den Menschen Sand in die Augen."

Für "übernacht" ist es schon viel zu spät. Die Proteste gegen die Range laufen seit Jahrzehnten. Aber davon mal abgesehen handelt es sich auch nicht um ein Argument: Warum sollte ein "nicht übernacht" gegen ein höheres Votum gegen Nordhorn-Range sprechen? Warum wird nicht trotzdem deutlich Position bezogen?

Liest man die Stellungnahmen beider Politiker, fällt außerdem die gemeinsame Formulierung vom "Sand in die Augen streuen" auf. Wenn man sich die beschriebenen Äußerungen genauer anschaut, wird klar, wer wem Sand in die Augen streut.

Ein Wort noch zur Linken

Die Abgeordneten der Partei "Die Linke" haben sich während des Besuchs des Petitionsausschusses bei der Notgemeinschaft Nordhorn vorgestellt. Im August 2011 wurde sogar ein eigener Range-Informationsabend in Nordhorn veranstaltet. Deswegen überrascht es sehr, dass sich die Linke nicht dem höchsten Votum angeschlossen hat.

Nachtrag: Die Linke hat uns hierfür im Juli 2012 eine Stellungnahme übersandt, die wir auf einer eigenen Seite wiedergeben.

Wie geht es nun weiter?

Das ist offen. Die Pressemitteilung des Bundestages schließt mit den Worten:

Vor diesem Hintergrund solle die Bundesregierung das mit der Petition verbundene Anliegen in die "kontinuierliche Prüfung von Möglichkeiten zur nachhaltigen Verbesserung der Gesamtbelastungssituation" einbeziehen, fordert der Ausschuss. Das Bundesministerium für Verteidigung wird gebeten, nach Ablauf von sechs Monaten "über die weitere Sachbehandlung zu berichten", heißt es abschließend in der Begründung zur Beschlussempfehlung.

Vor allem der erste Satz klingt sehr bedeutungsvoll… "kontinuierliche Prüfung von Möglichkeiten zur nachhaltigen Verbesserung der Gesamtbelastungssituation". Schade, dass es nicht um eine Verbesserung geht, sondern um eine Prüfung derselben. Gemessen an den Erfahrungen der langen Zeit des Protestes gegen Nordhorn-Range steht zu befürchten, dass es bei diesen Worthülsen bleiben wird. Das schwache Votum des Petitionsausschusses lädt geradezu dazu ein.

Nachtrag: Die am 7. Mai 2012 erfolgte Stellungnahme des BMVg kann auf einer eigenen Seite nachgelesen werden.

Lars Naber, 21. Januar 2012

Quellennachweise

Die Quellen sind im Artikel verlinkt. Die Zitate wurden am 17. Januar 2012 entnommen.