Notgemeinschaft Nordhorn-Range

Gegen Range – und gegen Atomkraft

Beitrag vom 18.04.2011

1300 Demonstranten in der Innenstadt – Notgemeinschaft plant neue Klage

Mit einer Kundgebung vor dem Nordhorner Rathaus und einem Schweigemarsch haben am Sonnabendvormittag rund 1300 Demonstranten die sofortige Schließung des Luft-Boden-Schießplatzes Nordhorn-Range gefordert. Viele verbanden ihren Protest mit der Forderung, das Atomkraftwerk in Lingen abzuschalten.

Von Steffen Burkert - Nordhorn. Mika hat ein düsteres Bild auf ihr Plakat gemalt. Düsenflieger rasen vor grauem Himmel auf ein Atomkraftwerk zu, das bereits in Flammen steht. Und am Boden liegt, ganz klein und einsam, ein einzelner Mensch. An einem Stab reckt Mika dieses Bild vor dem Nordhorner Rathaus in die Höhe. Sie ist am Sonnabend eine von mehr als 1000, die gegen den Luft-Boden-Schießplatz Nordhorn-Range demonstrieren.

Worum es bei dieser Demo geht, weiß Mika Moeken ganz genau. Die Achtjährige wohnt mit ihrer Familie in Stadtflur, also ganz im Osten Nordhorns und damit besonders nah an der Range. „Einmal ist ein Flugzeug ganz knapp über das Haus unserer Nachbarn geflogen“, erzählt das Mädchen: „Da sind Mama und ich schreiend ins Haus gerannt.“

Der Lärm, die Angst vor einem Absturz oder vor Fehlwürfen der Bomber – seit 40 Jahren wehren sich die Menschen rund um die Range bereits gegen den Übungsplatz. Doch jetzt, nach der Atom-Katastrophe in Japan, hat der Protest eine neue Qualität bekommen. Denn das Kernkraftwerk Lingen steht nur wenige Flugsekunden von der Range entfernt.

„Mit Erschrecken mussten wir feststellen, als alle noch fassungslos auf Fukushima sahen, dass der Flugbetrieb auf der Range unbeeindruckt weiter ging, dass nicht weniger, sondern mehr Einsätze geflogen wurden“, sagte Bürgermeister Meinhard Hüsemann (SPD) zum Auftakt der Kundgebung. Das habe bei der Bevölkerung „Wut und Unverständnis“ ausgelöst. „Es ist utopisch zu glauben, das Kernkraftwerk Emsland werde abgestellt“, bekannte Hüsemann. Schließlich sei es das mit der längsten Laufzeit in Deutschland. „Gerade deshalb können wir aber verlangen, dass ein Teil unserer Sicherheit dadurch gewährleistet wird, dass der Flugbetrieb auf der Range eingestellt wird.“

„Nein, den Sicherheitsprognosen der Militärs und der Atomlobby schenken wir keinen Glauben mehr“, rief Detlef Rüger vom Vorstand der Notgemeinschaft Nordhorn-Range den Demonstranten zu. „Unser Ruf nach Berlin kann nur lauten: Es reicht, hört auf!“ Er hoffe weiter auf den Petitionsausschuss des Bundestages, der eine Entscheidung zur Range bekanntlich mehrfach verschoben hat, erklärte Rüger den GN. Zudem wolle die Notgemeinschaft durch Banner im Stadtbild „sichtbar bleiben“. Und auch der Rechtsweg sei noch nicht ausgeschöpft, betonte der Vorstandssprecher. „Wir planen ein neues Klageverfahren, in dem es um die Frage der Sicherheit des Atomkraftwerks gehen soll“, kündigte Rüger an. Zudem sei der „Eurofighter“, der nun auf der Range übe, ein ganz neues Waffensystem. „Das kann man hier nicht genehmigungsfrei einführen“, ist sich Rüger sicher.

Es ist ein eher stiller Protestzug, der sich am Sonnabend vor dem Rathaus formiert. Die Redner erhalten viel Applaus. Parolen aber werden nicht skandiert. „Wer braucht Erdbeben? Wir haben die Range!“ steht auf einem der Plakate, die die Demonstranten in die Höhe halten. „Das ist kein Restrisiko. Das ist Leichtsinn!“ auf einem anderen. Und natürlich immer wieder die alte Parole „Nordhorn-Range muss weg.“ Insgesamt sind es 1300 Menschen, die schweigend durch die Innenstadt marschieren, schätzen die Veranstalter von Stadt, Landkreis und Notgemeinschaft später. Die Polizei bestätigt: Auch sie hat mehr als 1000 Demonstranten gezählt.

Aber es geht natürlich nicht nur um Nordhorn-Range. Viele im Zug fordern ausdrücklich auch ein Ende der Atomkraft. Konrad Duda zum Beispiel ist aus Lage zur Demonstration in die Kreisstadt gekommen. „Die Range muss weg, aber das reicht nicht“, betont er und hält ein gelbes Plakat mit der Aufschrift „Atomkraftwerke abschalten! In Lingen. Weltweit“ in die Kamera des GN-Fotografen. „Zugegeben: Die Kernkraft hat uns Wohlstand beschert“, erklärt der Grafschafter. „Aber wie man in Fukushima gesehen hat, kann sie den Wohlstand auch ganz schnell wieder vernichten.“

Friedrich Kethorn formuliert da vorsichtiger. „Ich habe den Ingenieuren vertraut – doch jetzt beschleicht mich ein mulmiges Gefühl“, sagt der CDU-Landrat in seiner Rede. Ausdrücklich will er keine Position beziehen zur Zukunft der Kernenergie, auch nicht zur „Notwendigkeit der Verteidigungsbereitschaft“, wie er betont. Aber seine Haltung zu Nordhorn-Range, die sei eindeutig: „Sofortige bedingungslose Schließung des Luft-Boden-Schießplatzes!“

Der Landrat hatte in den vergangenen Tagen Urlaub. Und auf seinem Hof in Stadtflur hatte auch er den Eindruck: Seit Fukushima wird auf der Range eher mehr als weniger geflogen. Dafür habe er „null Verständnis“. Im Gegenteil: „Mindestens hätte ich vom Verteidigungsminister erwartet, während des von der Kanzlerin ausgesprochenen Moratoriums den Flugbetrieb einzustellen.“

Mika Moeken, die Achtjährige aus Stadtflur mit dem düsteren Motiv auf ihrem Plakat, hat sich mittlerweile auch eingereiht in den Protestzug. Die ganze Familie marschiert mit. Ihr Vater Jörg kennt das schon, er engagiert sich seit vielen Jahren gegen die Range. „Wir hören die Flugzeuge täglich“, lautet seine knappe Begründung: „Die sind echt Angst einflößend.“

Fotos im GN-Fotoservice:
http://www.gn-online.de/de/lesershop/fotoservice.html?dir_request=22000/Demo+gegen+Range/