Beitrag vom 12.04.2011
Katastrophe in Japan rückt Nähe zum AKW in den Fokus
Der Protest gegen den Schießplatz Nordhorn-Range erreicht eine neue Qualität. Stand früher die Belästigung der Menschen im Vordergrund, so richten sich nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima besorgte Blicke auf das Atomkraftwerk Emsland in Lingen.
Von Irene Schmidt - Nordhorn. Nach dem Atom-Gau in Folge des Erdbebens und des Tsunamis im japanischen Fukushima haben sich auch in Deutschland Zweifel an der Sicherheit von Atomkraftwerken verbreitet. Die Bundesregierung hat ein Moratorium erlassen, um drei Monate lang die Atomkraftwerke auf ihre Sicherheit zu prüfen. Die ältesten AKW wurden erst einmal abgeschaltet. In Lingen steht jedoch eines der modernsten Atomkraftwerke. Es wäre unrealistisch zu glauben, dass es schon bald still gelegt werden könnte.
Bei der Risikoabwägung zu kurz gekommen ist zumindest in den letzten Jahren die direkte Nachbarschaft des AKW Lingen zum „Bombenabwurfplatz“ Nordhorn-Range. Könnte der Absturz eines Militärjets über dem AKW eine nukleare Katastrophe auslösen? – Gänzlich ausschließen lässt sich das wohl nicht. Daher hat die GN-Redaktion bei führenden und fachkundigen Politikern in Berlin und Hannover nachgefragt, wie sie nun, nach Fukushima, die Nachbarschaft des Atomkraftwerks zum Luft-Boden-Schießplatz bewerten. In der Bitte um Stellungnahme heißt es: „Die Ereignisse in Japan führen uns jeden Tag aufs Neue vor Augen, dass auch das ,Undenkbare’ traurige Wirklichkeit werden kann. Es ist uns bewusst, dass es in Norddeutschland weder ein schweres Erdbeben noch einen Tsunami geben wird. Die Gefahr, die aus unserer Sicht besteht, ist wesentlich konkreter: Nur wenige Kilometer und wenige Flugsekunden vom Kernkraftwerk Lingen entfernt liegt der Luft-/Boden-Schießplatz Nordhorn-Range. 1500 Mal warfen im Jahr 2010 Flugzeuge der Luftwaffe dort ihre Übungsbomben ab. Diese Flugbewegungen spielen sich in Sichtweite des Kernkraftwerks ab. Sich das ,Unvorstellbare’, einen Absturz eines Militärjets über dem Kernkraftwerk Lingen, vorzustellen, ist ein Gebot der Zeit, das sich aus den Lehren der Katastrophe in Japan ergibt. Die Diskussion über die seit langem von der Bevölkerung geforderte und von etlichen Politikern aller Fraktionen vor Ort befürwortete Schließung des Bombenabwurfplatzes bekommt einen neuen Stellenwert.“
Die Antworten der Politiker:
CDU: Der CDU-Landtagsabgeordnete Reinhold Hilbers aus Wietmarschen sagt: „Der Flugbetrieb und die kerntechnischen Anlagen passen hier in der Region nicht zusammen (...). Nordhorn Range gehört geschlossen, und zwar schnell.“ Da das Kernkraftwerk Lingen zu den jüngsten und damit sichersten Kernkraftwerken gehöre, sei es noch am Netz. Aber, so Hilbers: „Da gerade die Risiken aus dem Betrieb von Nordhorn-Range Gegenstand der Überprüfung sein müssen, gilt meine Forderung, den Flugbetrieb in diesen drei Monaten der Überprüfung (Moratorium der Bundesregierung) ebenfalls ruhen zu lassen.“
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Dr. Hermann Kues spricht sich ebenfalls für die Schließung des Bombenabwurfplatzes aus. Auf seine Bitte hin sei der Petitionsausschuss des Bundestages auch nach Nordhorn gekommen. „Das Kernkraftwerk Lingen ist als mögliche Gefahrenquelle erkannt worden“, so Kues. Das fließe in die aktuellen Beratungen ein. Weiter schreibt Kues: „Aus meiner Sicht ist die Gefahr eines Absturzes ein nicht zu unterschätzendes Argument, das angesichts der aktuellen Ereignisse in Fukushima an Relevanz gewinnt. Es wird den Druck, die Range zu schließen, erhöhen.
SPD: „Angesichts der Atomkatastrophe in Fukushima gibt es nach meiner Auffassung keinen Grund und kein Argument, das eine aufschiebende Wirkung für die Schließung des Schießplatzes begründet“, schreibt der SPD-Landtagsabgeordnete Gerd Will aus Nordhorn (Bild). Er ergänzt: „Wer die Menschen unserer Region weiter dieser Bedrohung für Leib und Leben aussetzen will, handelt unverantwortlich und hat nichts aus Fukushima gelernt.“ Es bleibe sein Ziel, dass sowohl Nordhorn-Range still gelegt als auch das Kernkraftwerk Emsland abgeschaltet werde, und zwar eher als unter Rot/Grün ursprünglich geplant. Das bedeute auch, dass ab sofort nicht mehr hinnehmbar sei, „dass auf Nordhorn-Range aus Übungszwecken weiterhin geflogen, geschossen und gebombt wird“. Die Range müsse sofort stillgelegt werden, damit die Bedrohung sich nicht weiter potenziert.
Bündnis 90 / Die Grünen: Die Umweltpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen, Dorothea Steiner (Bild oben), sieht ein hohes Risiko durch die Nachbarschaft von Range und AKW. Steiner schreibt: „Nach dem Verzicht der Bundesrepublik auf Wittstock in Brandenburg steht auch die Schließung des Luft-Boden-Schießplatzes in unserer Region an. Die derzeit etwas gesenkte Lärmbelastung wird beim Einsatz vom Eurofighter wieder steigen. Neben der Lärmbelastung stellt vor allem die Nachbarschaft von Bombenabwurf- und Übungsflügen zum AKW Emsland ein hohes Risiko dar. Nach der atomaren Katastrophe in Fukushima müssen wir das Risiko durch Flugzeugabstürze neu bewerten. Deswegen trete ich für die baldige Beendigung der Bombenabwurfübungen in Nordhorn Range ein.“ Fraktionsvorsitzender Jürgen Trittin (Bild oben) betont: „Wir fordern schon lange die Schließung des Truppenübungsplatzes. Die unmittelbare Nähe zum Atomkraftwerk in Lingen stellt ein verschärftes Sicherheitsrisiko dar.“ Vor dem Hintergrund der tragischen Ereignisse in Fukushima dürfe ein solches Risiko erst recht nicht mehr in Kauf genommen werden.
Die Linke: Die Einstellung des militärischen Flugbetriebs in der Umgebung von Kernkraftwerken ist aus der Sicht der Bundestagsfraktion Die Linke ein notwendiger Schritt. Die Regierung habe die Verantwortung, „dieses Risiko zu minimieren“, schreibt der Obmann im Verteidigungsausschuss Paul Schäfer, der für den Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi (Bild) die Beantwortung des GN-Schreibens übernommen hat. Weiter heißt es in der Antwort: „Die Katastrophe in Japan hat zudem auf dramatischste Weise vorgeführt, dass es keine hundertprozentige Sicherheit geben kann. Die Gefahr eines Absturzes auf Kernkraftwerke kann nicht absolut ausgeschlossen werden. Kernkraftwerke können nicht zu 100 Prozent gegen Bedrohungen aus der Luft geschützt werden. So selbstverständlich diese Erkenntnis ist, so schwer fällt es den bisherigen Regierungen, die Konsequenzen daraus zu ziehen. Insbesondere die mit Überschallgeschwindigkeit fliegenden und zum teil bewaffneten Kampfflugzeuge stellen ein enormes Risikopotential dar.
Von der FDP liegt keine Stellungnahme vor.